Nachruf auf Heinz Gaube (1940 – 2022)

Am 20. März 2022, dem diesjährigen Nouruz-Tag, ist Heinz Gaube in Berlin ganz unerwartet im 82. Lebensjahr gestorben. Der Verein der Freunde der Altstadt von Aleppo verliert einen seiner Gründer“Väter“ und sieht sich in Trauer vereint mit einer unübersehbar großen, internationalen Schar von akademischen Kollegen, Schülern, Forschungsprojekten und Initiativen, die von Gaubes stupendem Talent für vielschichtige und stets zielorientierte Anregungen und Initiativen gefördert, gelenkt und begleitet wurden. 

Sein jahrzehntelanges Engagement für die Erforschung der syrischen Kulturgeschichte im breitesten Sinn, für deren Bewahrung, Schutz und Kenntnis im Lande wie in der Welt betrifft nur eine von vier Regionen des Nahen und Mittleren Ostens, denen seine sowohl akademische wie höchst persönliche Leidenschaft galt. 

Sein jugendliches Interesse galt den USA, als aus bundesrepublikanischer Sicht um 1960 dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, das ihn 1977 mit Gastprofessuren an der  New York University (NYU) empfing und 1981 am Massachusetts Institute of Technology (MIT) Cambridge ehrte. Dann bereiste und erforschte er seit 1966 das sowjetische Zentralasien, seit 1968 Iran-Afghanistan-Pakistan, und seit 1970 mit fünfjähriger Residenz in Beirut den Raum Libanon, Syrien, Jordanien, seit den 90er Jahren schließlich die Arabische Halbinsel mit Saudi-Arabien, Jemen, Oman sowie die Seehäfen vom Golf bis Indien. 

Auf jede seiner Forschungsreisen folgten mehrere Publikationen in Monographie- und Aufsatzform, und wohlgemerkt lösten diese Studien sich nicht nacheinander ab, sondern wurden vielfach parallel fortgeführt. 1978 bis 2005 war Heinz Gaube Professor für Irankunde an der Universität Tübingen, war dort mitverantwortlich für den DFG-Sonderforschungsbereich 19 “Tübinger Atlas des Vorderen Orients” (TAVO) und hat die „Forschungsstelle für islamische Numismatik“ (FINT) sowie die „Forschungsstelle für die Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte des östlichen Mittelmeerraums und des Nahen Ostens“ (CEBHEM – Centre for the Economic and Business History of the Eastern Mediterranean and the Middle East) gegründet. 

Er hat zahlreiche Initiativen für die Altstadterforschung und Rehabilitation in Syrien unterstützt und sich bis zuletzt aktiv an den Diskussionen um Projekte im zerstörten Aleppo beteiligt. In den letzten Jahren veröffentlichte er u.a. Bücher über die Kunst und Koranhandschriften in Oman (2008, 2016), eine Dokumentationsreihe über die Ibaditen-Gemeinden (ab 2013), über die Stadtgeschichte von Kashan (2021) und die Bedeutung der Häfen vom Golf bis Indien. Ihm wurde eine Festschrift „Die Grenzen der Welt“ (2008) von seinen Schülern und eine Festgabe „Ein Forscher zwischen den Kulturen“ (2020) von akademischen Freunden gewidmet.

Heinz Gaubes Forschungen zu Syrien sind für seine Arbeitsweise exemplarisch. Er hatte seinen Berufswerdegang mit dem Handwerk begonnen, konzentriert und abgeschlossen als Augenoptiker.  Das handwerkliche Geschick und sein Organisationstalent halfen ihm beim damit teilfinanzierten und gleich anschließend begonnenen Studium der Islamwissenschaft, Iranistik, Klassischen  Archäologie und weiterer Gebiete ebenso, wie er seine zahllosen Feldforschungen und Publikationsvorbereitungen multidisziplinär erfolgreich durchzuführen verstand, teilweise zusammen mit Kollegen aus Nachbarfächern. 

So führte er seit 1971 mehrere Feldsurveys zu den umajjadischen Wüstenschlössern und mit mir zusammen in der Region des Jebel Shbeit in Syrien durch, begleitet von Inschriftenpublikationen und Grundrißskizzen. Nachdem Eugen Wirth ihn zu seinen iranischen Forschungen zurückgeführt hatte (Gaube – Wirth, der Bazar von Isfahan, 1978), setzten beide ihre erfolgreiche Zusammenarbeit für Basar und Altstadt von Aleppo fort (Aleppo, 1984; arabische Übersetzung 2001). Dieses Werk machte Gaube insbesondere durch seinen Beitrag zur historischen Quellenauswertung und weitgehend noch skizzenhaften Erfassung des Basar-Baubestands zu einem der unersetzlichen Dokumentarbücher der Stadtforschung. 

Die Vorarbeiten führten zur engen Freundschaft mit dem vornehmlichen Förderer der Wiederbelebung der Aleppiner Altstadt, dem tragisch verunglückten Architekten Adli Qudsi, und den Freunden aus der Aleppiner Fansa-Familie, dem Mitbegründer des Vereins der Freunde der Altstadt von Aleppo, Mamoun Fansa und dessen Bruder, dem Architekten Khaldun Fansa, Abdallah Hajjar sowie vielen Denkmalschützern dieser Stadt. Gemeinsam waren sie erfolgreich in der Begründung des Antrags der Aleppiner Altstadt als Weltkulturerbe bei der UNESCO (1986) sowie zahlreichen weiteren Projekten der Stadtforschung. 

Mamoun Fansa verhalf unter Gaubes Mitwirkung den Städten Aleppo und Damaskus auch in Deutschland zu neuem Ruhm als älteste, lebendig erhaltene komplexe urbane Gebilde, ohne die unsere gemeinsame Zivilisation nicht denkbar wäre (Damaskus-Aleppo. 5000 Jahre Stadtentwicklung in Syrien, Ausstellung im Landesmuseum Oldenburg 2000, Mainz 2000). Umso tiefer trifft uns alle aus dieser Kenntnis der Schmerz, die politische, ökonomische und soziale Verantwortungslosigkeit verbrecherischer Kriegsführung und kultureller Zerstörung wiederholt erleben zu müssen. 

Die emotionalen Höhen und Tiefen des Forschens und Lebens in fremden Regionen und Kulturen hat Heinz Gaube in ebenso besonderer Intensität durchlebt als auch für sich zu bewältigen versucht. Es ist ihm stets gelungen, über die kollegialen Kontakte hinaus enge Freundschaften in Deutschland und dem Westen wie in den islamischen Regionen zu schließen. Seine Leidenschaft für die fremden Kulturen, deren Inhalte er in Religionen, Literaturen und historischen Künsten sich zu erschließen suchte, lebte er auch in familiären Bindungen. 

Heinz Gaubes Lebenswerk ist in seiner Breite und Fülle in diesem Fach und seiner Generation einzigartig. Ein früh benanntes Vorbild sah er in den Forschungen des aus Deutschland seinerzeit vertriebenen Ernst Herzfeld (1879-1948), der 1911 mit archäologischen und kunsthistorischen Forschungen im arabischen Samarra begann und über Architektur, Inschriften und historische Landeskunde in Iran weiterarbeitete mit zahlreichen Publikationen. Gaube hat die Verbindung von organisierter Konzentration auf positiv belegbare Daten in literarischen und materiellen Quellen und schlüssige und zielführende Fragestellungen und vorsichtige Interpretationen in derart vielen und umfangreichen Beispielen zu effektuieren gewusst, wie sie kaum glaubhaft wären, wenn sie nicht gedruckt vorlägen. Die Vielschichtigkeit seiner Belegsammlungen, die Genauigkeit bei Daten und Auswertungen, die geschickten Darstellungen machen seine Werke zu dauerhaft und vielseitig verwendbaren Dokumentationen. 

Der Verein ehrt sein Andenken in tiefer Dankbarkeit und Ehrfurcht.

Prof. Dr. Claus-Peter Haase                                                                           Prof.Dr. Mamoun Fansa 

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